All Shall Be Well China, Hongkong 2024 – 93min.

Filmkritik

Der Verlust einer Liebe im Abendrot des Lebens.

Filmkritik: Maxime Maynard

Ray Yeung, eine aufstrebende Figur des zeitgenössischen queeren Kinos in Hongkong, kehrt zur Berlinale zurück, um seinen Film «All Shall Be Well» vorzustellen, und gewinnt den Teddy Award für den besten Film.

Hongkong: Angie (Patra Au) und Pat (Lin-Lin Li) sind ein Paar von zwei Frauen in den Sechzigern, die seit dreissig Jahren zusammen sind. Als Pat plötzlich stirbt, ohne ein Testament zu hinterlassen, steht Angie vor der Herausforderung, dass der gesamte Besitz an Pats Familie fällt. Obwohl Shing (Tai-Bo), Pats Bruder, und seine Frau Angie versprechen, sich um sie zu kümmern, beginnen die beiden Seiten allmählich, auseinanderzudriften.

Der Hongkonger Regisseur Ray Yeung ist zurück auf der Berlinale! Nach den englischsprachigen Filmen «Cut Sleeve Boys» (2006) und «Front Cover» (2015) präsentierte er bereits 2020 seinen ersten kantonesischen Spielfilm «Ein Frühling in Hongkong». Diese berührende Geschichte einer verborgenen Liebe zwischen zwei älteren Männern fand grossen Anklang beim Publikum. In seinem neuen Film «All Shall Be Well», der in der Kategorie Panorama gezeigt wird und für den Teddy Award nominiert ist, rückt Yeung erneut queere Menschen über sechzig in den Fokus.

Während «Ein Frühling in Hongkong» die ersten Momente einer Beziehung einfing, zeigt «All Shall Be Well» deren Ende. Nach 30 Jahren einer liebevollen Beziehung, – die in den ersten Szenen des Films eindrucksvoll illustriert wird –, stirbt Pat und lässt Angie allein und zutiefst erschüttert zurück. Obwohl die Tragödie den Ton angibt, gelingt es dem Regisseur, sie nicht erdrückend zu gestalten. Die emotionalen Momente sind feinfühlig und zurückhaltend, sodass das Publikum klar den schleichenden Konflikt beobachten kann, der sich zwischen Angie und Pats Familie entwickelt.

Für sein neues Projekt holt Ray Yeung einige seiner bewährten Mitarbeiter:innen aus seinem vorherigen Film zurück. So fängt der Kameramann Ming-Kai Leung erneut die imposante Seele Hongkongs ein. Vom Meeresufer über Innenhöfe bis hin zu kleinen, altmodischen Wohnungen – die Stadt erscheint in einem verblassten, tristen Farbton, der die Traurigkeit der Hauptfigur widerspiegelt. Visuell fesselnd, ist das Ergebnis ein wahrer Genuss.

Auch in der Besetzung setzt Yeung auf vertraute Gesichter: Patra Au und Tai-Bo stehen erneut vor seiner Kamera. Dieses Mal übernimmt Patra Au die Hauptrolle. Sie, die bereits in mehreren asiatischen Festivals für ihre Leistung in «Ein Frühling in Hongkong» gefeiert wurde, verkörpert hier die zutiefst verletzte Angie, die den Verlust ihrer Partnerin betrauert. Ohne Übertreibung zeigt sie ihre Emotionen und trägt die Last der Trauer auf beeindruckende Weise. Tai-Bo spielt Shing, Pats Bruder, mit zurückhaltender Natürlichkeit.

Indem Ray Yeung ein lesbisches Paar im fortgeschrittenen Alter ins Zentrum rückt, lenkt er die Aufmerksamkeit auf eine Gemeinschaft, die in seinem Heimatland Hongkong noch immer wenig Akzeptanz findet. Zwar ist die Geschichte sehr linear und wenig originell, sodass sie sich schneller erahnen lässt, als sie sich entfaltet, und Überraschungen ausbleiben. Doch Yeungs künstlerischer Blick und die herausragende Leistung von Patra Au verleihen dem Film eine willkommene Frische.

(Berlinale 2024)

15.10.2024

3.5

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