Another Reality Deutschland 2019 – 98min.

Filmkritik

Muckis, Machos und Moneten

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Sie sind alle kein unbeschriebenes Blatt, die fünf Männer mit Migrationshintergrund aus Berlin und Essen, denen der Zürcher Noël Dernesch und der Deutsche Oliver Waldbauer auf die Finger geschaut haben. Ein hautnaher Einblick in eine Parallelwelt.

Sie sind wandelnde Vorurteile, sie protzen und prahlen, heissen Agit oder Ahmad, Parham, Kianush und Sinan. Die Machos im saftigen Mannesalter sind alle kein unbeschriebenes Blatt und haben Migrationshintergrund. Erst kürzlich wurde im zweiteiligen «Tatort: In der Familie» das Themen aufgegriffen: Wie weit sind Menschen mit der Familie oder einem Clan aus Südeuropa vernetzt, verbunden, verpflichtet? Die fünf Protaginsten aus Essen und Berlin lassen im Dokumentarfilm «Another Reality» auf die Familienbunde oder eine Gang, der sie angehören, nichts kommen. Sie stammen aus der Türkei, dem Iran oder Palästina. Sie haben sich in einer Parallelwelt eingerichtet, sozusagen auf zwei Ebenen, der Realität und einer «besseren» Wunschwelt, heisst einer normalen, legalen Existenz. Wunsch und Wirklichkeit klaffen jedoch weit auseinander. Diese Männer mit Muckis (aber ohne Glatze) leben mal mehr, mal weniger auf schiefer, krimineller Bahn, haben Knasterfahrung. Schmutzige Deals, Bedrohungen, Erpressung, Gewaltanwendung ist ihr Geschäft.

Sinan etwa weiss um die Gefahr, dass kriminelle Tätigkeiten wie Treibsand ist, aus dem man schwer herauskommt. Nur der Clan, die Familien geben Halt, so lautet die verbreitete Ansicht. Ansätze zur redlichen Arbeit sind durchaus vorhanden. Der Berliner Achmet beispielsweise vermietet dicke Autos, aber auch dieses Business scheint nicht ganz sauber. Nein, sympathisch sind diese Burschen nicht, die sich bis zu einem gewissen Grad öffnen. Bei schweren krummen Dingen blendet die Kamera aus. Die Filmemacher, der Zürcher Noël Dernesch und der Deutsche Oliver Waldbauer, schauen ihren «Helden» auf die Finger, ohne sie zu desavouieren, zu diskreditieren, demontieren oder (juristisch) zu gefährden. Sie lassen sie gewähren – bei ihren Posen, ihren Eitelkeiten und ihrer Selbstdarstellung. Die selbsternannten Machos haben sich mit ihren Widersprüchen eingerichtet und entlarven sich selber.

Bemerkenswert am Einblick in eine Parallelwelt ist auch, dass der eine oder andere dieser Clanmitglieder eine bemerkenswerte Rapperfigur abgibt wie etwa der erfolgreiche deutsch-iranische Sinan-G. aus Essen, der auch bereits Haftstrafen absitzen musste. Ein aufschlussreicher Dokumentarfilm, an dem die Autoren drei Jahre gearbeitet haben.

01.12.2020

3.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 3 Jahren

Erstaunlich offen und frei zeigen sich die Porttraitierten. Und entdecken - wie das menschlich ist - vielleicht paar Erkenntnisse, Lebensweisen erst beim Formulieren. Was kaum je Thema war, und doch als Verdacht im Raum stand: Wie nimmt die Aussenwelt so bärtige Typen wahr. Orientalen mit Bart. (Beim Barte des Propheten! Welche Rolle spielt die Religion denn?). Eine kleine intime Szene zeigt einen der jungen Männer als jungen Vater beim Gebet, und wie die Buben das spielierisch lernen. War berührend. Wie religiös leben die andern? Gehört der Bart als Statement dazu? Und darum gehören sie dann nicht dazu? Darüber diskutieren sie ja mal mit einem 'Normalbürger'. Vielleicht hat der weniger erlebt, aber auch weniger zu sagen,Mehr anzeigen

Zuletzt geändert vor 3 Jahren


darknight126

vor 3 Jahren

Krasse Reality, voll die Macker, aber voll lustig die Kerle!
Habe mich bei einer Doku selten so gut unterhalten, fette Bilder und Musik.
Daumen hoch!

Zuletzt geändert vor 3 Jahren


nathinathinathi

vor 3 Jahren

Stark!


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