Hotel Very Welcome Deutschland 2007 – 94min.

Filmkritik

Zu viel Gepäck

Kyra Scheurer
Filmkritik: Kyra Scheurer

Fast schon banal ist die Travellerweisheit, dass man - egal wie weit von zuhause, Vergangenheit und Alltag entfernt - sich selbst immer mitnimmt. Nicht banal hingegen ist die filmische Umsetzung dieses Themas durch Sonja Heiss, die in ihrem preisgekrönten HFF-Abschlussfilm vier fiktionale Selbsterfahrungsepisoden von Reisenden mit stark dokumentarischen Mitteln umsetzt.

Vier Monate war die Regisseurin mit ihren Protagonisten in Indien und Thailand unterwegs, um ihren Film zu drehen. Mit Rucksack und kleinem Budget durchlebte das Team eine den Reisen der Protagonisten vielleicht nicht ganz unähnliche Zeit mit allen Schwierigkeiten: Hitze, Verständigungsprobleme, Durchfall. Vielleicht wirkt der Film gerade deshalb nie romantisch verklärt. Die Ausbildung der Regisseurin Sonja Heiss als Dokumentarfilmerin wird vor allem in der zurückhaltenden Bildsprache sichtbar, den Drehorten in Hotel und Touristenstraßen, die einem in ihrer Austauschbarkeit und Realitätsnähe durchaus vertraut vorkommen.

Die Herkunftsländer der westlichen Protagonisten und ihre asiatischen Zielländer unterscheiden sich, gemeinsam ist das Scheitern an Kommunikation, Wetter, Liebe und sich selbst sowie die Komik, die in diesen verzweifelten versuchen, sich zu entspannen liegt: Die Engländer Josh und Adam wollen in Thailand vor allem bisschen Spaß haben - zwischen Vollmond-Raves und Dschungeltrips lernen sie sich allerdings besser kennen, als ihnen lieb ist und verlieren zwischen Gelddiskussionen und der Frage, wer welches Mädchen abgreift, ihre Freundschaft. Alle anderen reisen allein. Der Ire Liam erkundet Indien mit dem Zelt und auf einem Kamel, geführt von einem Einheimischen, mit dem er sich anfreundet. Er erzählt ihm, dass er Vater wird - das Ergebnis eines One-Night-Stands, seine Reise bei aller bekifften Ruhe der innerlich gehetzte Versuch, vor der Verantwortung zu fliehen. Auch die deutsche Marion (Eva Löbau aus "Der Wald vor lauter Bäumen") ist vor Beziehungswirren in ein indisches Meditationscenter geflüchtet, wo die Erlösung auf sich warten lässt. Sie führt absonderliche Gespräche mit einem hessischen Spießbürger und analysiert küchenpsychologisch ("Ich glaub ich hab mich einfach ein Stück weiterentwickelt und etwas in ihm sperrt sich gegen diese Entwicklung...") die Beziehung, vor der sie davonläuft. Zwischendrin wird spiritualistisch getanzt und geschwommen - die Telefonate mit ihrem Freund bleiben quälend, die Situation ungelöst. Svenja sitzt derweil nach dem Verpassen ihres Anschlussflugs in einem Bangkoker Hotel fest und hat mit dem unfähigen Mitarbeiter eines Call Centers den wohl surrealsten Flirt ihres Lebens.

Ein roter Faden verbindet die Episoden eher thematisch und vom Erzählton, auf der Handlungsebene kreuzen sich die Wege der Protagonisten nur in einem Fall. Der Film lebt weniger von den Geschichten an sich, als von einzelnen Momenten, in denen Abgründe sichtbar werden. Mit Gespür für die typischen Konflikte und Realitäten des Reisens gemeinsam oder allein, aber auch mit Sinn für die darin enthaltene Komik werden verschiedene "Modelle" ausgelotet und das Image vom Backpacker als Abenteurer teilweise entmystifiziert.

Auch wenn nicht alle Episoden gleichermaßen fesseln und man keineswegs großes Gefühlskino erwarten sollte: Es gelingt Sonja Heiss, einen wichtigen Teil der Lebensrealität der "Generation Globalisierung" in Bilder und Dialoge zu fassen. Insofern ist "Hotel very welcome" sicher genau für diejenigen interessant, die sich darin wieder erkennen und (noch einmal) emotional nachvollziehen können, wie sehr man auch zusammen allein sein kann und dass die Utopie des "Weggehens um anzukommen" in der Realität oft scheitert - weil man mit sich selbst zu viel Gepäck dabei hat auf oft recht ausgetretenen Pfaden des "individuellen Reisens".

17.02.2024

4

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Kommentare

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pradatsch

vor 16 Jahren

Der Zuschauer wird gegenüber den Suchenden zum gut unterhaltenen Voyeur - nicht nur in Bezug auf das, was auf dem Trip abgeht, sondern gerade auch auf das, was zu Hause verpasst, vergessen und verdrängt wird. Bizarrerweise hat mich der Film an \"Yella\" und \"The Darjeeling Ltd\" erinnert, so wenig verwandt die drei Filme sein mögen und obwohl wohl eher \"Lost in Translation\" direkt zitiert wird.Mehr anzeigen


apple01

vor 16 Jahren

Schmuddelig, charmant und voll grotesker Situationskomik.


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