Interview21. März 2024 Cineman Redaktion
Tamer Ruggli über «Retour en Alexandrie»: «Ich wollte eine Art Fantasiewelt erschaffen»
In «Retour en Alexandrie» setzt sich Tamer Ruggli mit der Vergangenheit seiner Familie auseinander. Wir haben ihn zur Premiere des Films beim ZFF 2023 getroffen und sprachen mit ihm über seine Arbeit, seine Herkunft und was die Zukunft für ihn bringen wird.
(Interview und Text von Maxime Maynard; übersetzt aus dem Französischen)
Im vergangenen Oktober hatten wir während des ZFFs die Gelegenheit, den schweizerisch-ägyptischen Regisseur Tamer Ruggli zu treffen. In seiner Geburtsstadt präsentierte er die Weltpremiere seines ersten Spielfilms «Retour en Alexandrie». In einem Café in der Nähe des Hauptbahnhofs teilte er seine Inspirationen mit uns.
Cineman : Nach mehreren Kurzfilmen ist «Retour en Alexandrie» dein erster Spielfilm. Was waren die grössten Herausforderungen beim Wechsel zwischen den beiden Formaten?
Tamer Ruggli: Die Suche nach Finanzierung und Fördermitteln durch die Schweiz hat einige Zeit in Anspruch genommen, ebenso wie die Entwicklung. Wir haben fast zehn Jahre an diesem Film gearbeitet. Es war ein echter Hindernislauf, aber wir sind dankbar, dass wir Unterstützung bekommen haben. Auch das Drehbuchschreiben ist anders. Man muss wirklich von der Geschichte begeistert sein, um neun Jahre zu investieren.
Anders als bei einem Kurzfilm haben viel mehr Personen eine Meinung zum Drehbuch, zur Besetzung oder zu den Kulissen. Es ist wichtig, die Dinge, die dir wichtig sind, zu verteidigen. Jedoch ist auch ein gewisses Mass an (sozialer) Intelligenz erforderlich, um dir die Argumente der anderen anzuhören und neue Lösungen zu finden.
Wie ist das Drehbuch entstanden?
Tamer Ruggli: Dabei habe ich hauptsächlich mit Marianne Brun zusammengearbeitet. In der Schweiz gibt es keine Ausbildung im Drehbuchschreiben. Marianne habe ich während meines Studiums kennengelernt. Sie ist Französin, lebt aber in Zürich. Sie reisst die Geschichte nie an sich und bringt stattdessen Ideen und Schlüssel für die Erzählung ein, ohne jemals etwas aufzudrängen. Während ich schrieb, zeigte sie mir die Elemente, die im Drehbuch, in der Dramaturgie oder in der Entwicklung einer Figur nicht funktionierten.
Ausserdem hatten wir Yousry Nasrallah mit dabei – er ist so etwas wie der Godard der arabischen Welt, ein Schüler und Schützling vom ägyptischen Filmregisseur Youssef Chahine. Wir haben mit ihm zusammen an den Dialogen gearbeitet. Ich habe ein sehr nostalgisches Bild von Ägypten und er half mir, meine Erzählung in einem realitätsnahen Ägypten unterzubringen.
Deine Inspiration war demnach deine persönliche Vergangenheit?
Tamer Ruggli: «Retour en Alexandrie» ist sehr inspiriert von der Trauer um meine Mutter, dem Ägypten in meinen Kindheitserinnerungen und echten Menschen. Ich hatte die Möglichkeit, meine Grossmutter und Grosstanten einen ganzen Sommer lang zu begleiten. Es gibt Szenen, die regelrecht eine Nacherzählung echter Dialoge sind. Ich wollte Lust darauf machen, dieses Land zu besuchen. Touristen halten sich meist in Scharm el-Scheich auf, für mich ist Ägypten eher Alexandria und Kairo, vor allem das Viertel Zamalek.
Gedreht haben wir in den Gegenden, die mich visuell interessierten – ohne den Wunsch nach geografischer Logik. Die Wüste beispielsweise ist keineswegs die auf dem Weg nach Alexandria und das Hotel ist eigentlich kein Hotel. Ich wollte eine Art Fantasiewelt erschaffen, angelehnt an das goldene Zeitalter des Landes, die 60er-Jahre und die Zeit von Nasser. Eine Zeit, an die sich die Menschen mit Sehnsucht zurückerinnern. Kairo war damals auf Augenhöhe mit Paris, was Mode, Design und Savoir-vivre betraf.
Wie kamst du auf Fanny Ardant für die Figur der Fairouz?
Tamer Ruggli: Das kam ziemlich von allein. «Huit femmes» von François Ozon hat meine Begeisterung für das Kino geprägt und Fanny Ardant ist eine bewundernswerte Schauspielerin. Sie strahlt eine zeitlose Eleganz, Ausgelassenheit und Klasse aus. Das entspricht in etwa den arabischen Frauen, mit denen ich aufgewachsen bin: französisch sprechende Frauen, die perfekt in das Bild der Pariserin passten. Ich lernte sie kennen und die Figur gefiel ihr sehr. Sie mochte diese Doppeldeutigkeit und diese Charaktere, die zwar verabscheuungswürdig, aber dennoch liebenswert waren. Ich habe beim Schreiben der Dialoge direkt an sie gedacht, an ihre Ausdrucksweise, ihre Art zu sprechen.
Wie war die Zusammenarbeit mit Nadine Labaki?
Tamer Ruggli: Nadine Labaki ist eine libanesisch-arabische Regisseurin, durch die ich das arabische Kino wiederentdeckt habe. Als ich sie das erste Mal traf, war sie dabei Werbung für ihren Film «Capharnaum - Stadt der Hoffnung» zu machen und wegen der Oscar- und Golden-Globe-Verleihung zeitlich sehr eingespannt. Das Projekt gefiel ihr, aber sie hatte sich noch nicht hundertprozentig entschieden. Als sie die Zeit hatte, sich noch einmal mit dem Projekt zu befassen, ging es ziemlich schnell.
Es war toll, mit ihr und Fanny zu arbeiten. Es machte mir Spass, am Set zu sein. Hinterher war der Druck sehr gross, aber ich lernte Schritt für Schritt dazu und insgesamt war es ein grosses Vergnügen. Die Schauspielerinnen waren sehr engagiert und haben sich wirklich bemüht, den Charakteren zu entsprechen, die ich vermitteln wollte.
Wie sehen deine zukünftigen Projekte aus?
Tamer Ruggli: Ich habe ein Projekt, das bereits im Drehbuch-Stadium ist. Es ist eine Geschichte, die ebenfalls in Ägypten spielt, aber eher im zeitgenössischen Ägypten verankert ist und weniger nostalgisch sein wird. Es werden wieder Geschichten von temperamentvollen Frauen sein. Ich bin mit dieser Art von Persönlichkeiten aufgewachsen, also schreibe ich auf der Grundlage meiner Erfahrungen. Es wird um Freundschaft, Trauer und auch um die Rückkehr in die Heimat gehen. Filme sind für mich etwas Persönliches. Geschichten über Zugehörigkeit, Sexualität und Identität beschäftigen und berühren mich. Anschliessend plane ich ein weiteres Projekt in der Schweiz. Es wird auf italienisch und französisch sein und vermutlich eher in den 60er-Jahren spielen.
Sie sind in verschiedenen Teilen der Welt aufgewachsen. Hat das Ihre Sicht auf das Kino beeinflusst?
Tamer Ruggli: Vielmehr hat es meine Weltsicht beeinflusst! Ich habe den grössten Teil meines Lebens in Zürich gelebt. Meine Eltern lebten in Kinshasa, kamen aber für meine Geburt nach Zürich. Fast meine gesamte Kindheit habe ich in Zürich verbracht, bis wir wieder nach Kinshasa zurückgekehrt sind. Ausserdem waren wir für zwei Jahre in Österreich. Ich kam viel herum. Du lernst viele Menschen kennen und hast eine Menge Geschichten, die mit einer bestimmten Zeit verbunden sind – dann ziehst du weiter. Das kann für ein Kind sehr hart sein, aber auch sehr bereichernd. Ägypten war für mich immer eine Art Bezugspunkt. Ich wusste, dass wir im Sommer dorthin fahren würden und fühle mich dort immer wie zu Hause.
«Retour en Alexandrie» ist ab dem 21. März in der Deutschschweiz und seit dem 31. Januar in der Romandie im Kino zu sehen.
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