Artikel30. September 2022

Zurich Film Festival 2022

Zurich Film Festival 2022

Ein Meer aus Augen hat die Stadt Zürich in Beschlag genommen. Das ist das Zeichen dafür, dass das Zürich Film Festival wieder stattfindet. Auch für die 18. Ausgabe reisen internationale Stars und Sternchen an den Zürichsee. Darunter sind Grössen wie Sir Ben Kingsley, Charlotte Gainsbourg, Liam Neeson und Till Schweiger. Sie stellen ihre jeweiligen neuen Filmproduktionen vor, Sir Kingsley und Gainsbourg wird zudem ein Goldenes Auge für ihre Schauspielkarriere verliehen.

Regisseur Luca Guadagnino gibt sich ebenfalls die Ehre mit seinem neuen Film «Bones And All» und holt sich einen «A Tribute to... Award» ab. Um die restlichen Augen-Trophäen buhlen zahlreiche Filme in verschiedenen Wettbewerben.

Das Programm ergänzen zudem eine ganze Reihe von Gala Premieren, für die der grüne Teppich ausgerollt wird. In diesem Rahmen hat das Publikum die Gelegenheit, gleich mehrere Filme zu sehen, die bei der nächsten Oscar-Verleihung gegeneinander antreten werden. Das ist unter anderem das intime Drama «Close» aus Belgien von Lukas Dhont, die Eigeninterpretation des Sisi-Stoffs «Corsage» von Marie Kreutzer aus Österreich oder die Neuverfilmung von Remarques «Im Westen nichts Neues» von Edward Berger aus Deutschland. In einer Sondervorführung zeigt das Festival darüber hinaus den Schweizer Oscar-Beitrag «Drii Winter» von Michael Koch.

Auch in den anderen Sektionen präsentiert das Zürich Film Festival Werke exklusiv vor ihrer offiziellen Kinoauswertung. Einige der Titel feierten erst kurz vorher ihre Weltpremiere an anderen renommierten Festivals wie Sundance, Cannes oder Venedig. Einen besonderen Fokus liegt in diesem Jahr zudem auf dem jungen spanischen Kino. In Zusammenarbeit mit dem Festival von San Sebastián sind in der Reihe «Neue Welt Sicht» Spiel- und Dokumentarfilme verschiedener Genres vereint. Von der Gesellschaftskomödie über den Thriller bis zum Horrorfilm ist dabei alles vertreten und beweist, dass der spanische Film aus einer Vielzahl von Talenten besteht, die über den Namen Pedro Almodóvar hinausgehen.

Lead von Teresa Vena

«Armageddon Time»

von James Gray | 115 min

Sorglose Kindheit

Review von Teresa Vena

Paul Graff (Banks Repeta) lebt mit seiner Familie im New York der 1980er-Jahre. Sie sind jüdisch und gehören zur oberen Mittelschicht. Um sie herum verwandelt sich die Nachbarschaft nach und nach in eine immer wohlhabendere. Das gefällt Pauls Eltern, da sie gerne mithalten wollen. Deswegen soll Paul auch in eine Privatschule, genauso wie sein Bruder. Für die Schule interessiert sich Paul aber nicht. Am liebsten zeichnet er und auch seine Freundschaft mit dem afroamerikanischen Jungen Jonathan (Jaylin Webb) steht dadurch auf dem Spiel. Rat und Unterstützung findet er bei seinem Grossvater (Anthony Hopkins).

In seinem autobiographisch inspirierten Coming-of-age-Film rekonstruiert James Gray die gewählte Zeitepoche mit viel Sorgfalt. «Armageddon Time» erzählt von den sozialen Spannungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und unterschiedlicher Einkommensstufen. Einen kleinen Seitenblick wirft er auf die Macht von Unternehmerfamilien wie die der Trumps, die mit willkürlichem Überlegenheitsgehabe sich Rang und Einfluss erschleichen. Der Fokus liegt aber eindeutig auf dem jungen Protagonisten, der durch die eigene Neugierde und Sensibilität mit der Diskrepanz zwischen den leeren Floskeln der Erwachsenen und der selbstbeobachteten Realität konfrontiert wird. Was dem Drama fehlt ist eine etwas präzisere Zuspitzung und eine Straffung, die für etwas mehr Zugkraft gesorgt hätte.

3 von 5 ★

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«Aus meiner Haut»

von Alex Schaad | 103 min

Verständnis füreinander

Review von Teresa Vena

«Sich in jemanden hineinversetzen», um ihn richtig verstehen zu können. Das sagt sich so leicht, doch ist es wirklich möglich? Von diesem Grundgedanken geht das Spielfilmdebüt von Alex Schaad aus. Im Mittelpunkt der Geschichte steht das Pärchen Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler). Sie wollen sich auf ein ganz besonderes Experiment einlassen: mit einem anderen Paar Körper und Geist tauschen. Im neuen Körper gelingt es Leyla erstmals seit Jahren, ihre Depression in den Griff zu bekommen, auch ihre Gefühle für Tristan lebt sie mit einer viel grösseren Gelassenheit. Genauso begeistert von der neuen Situation ist Tristan aber nicht. Die Beziehung steht auf dem Spiel.

In «Aus meiner Haut» finden Regisseur Alex Schaad und sein Bruder Dimitri Schaad, mit dem er das Drehbuch schrieb und der eine der Hauptrollen im Film übernimmt, ein einfaches wie eingängiges Sinnbild um das Thema Empathie anzusprechen. Sie werfen viele wichtige existentielle Fragen auf, zu denen auch die gehört, welchen Einfluss unser Körper auf unsere Psyche hat. Hormone und Emotionen bedingen sich eben. Trotz der ausgeprägten philosophischen und metaphysischen Ebene der Geschichte wählt der Film stilistisch eine äusserst realistische und bodenständige Erzählweise. Die genutzten Mittel sind reduziert, statt mit spektakulären Spezialeffekten aufzufahren, konzentriert sich Schaad nämlich auf die Leistung der Schauspieler, die wahrlich herausragend ist.

4 von 5 ★

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«R.M.N.»

von Cristian Mungiu | 125 min

Unser Dorf gehört uns

Review von Teresa Vena

Wie viele seiner Landsleute ist auch Matthias (Marin Grigore) nach Deutschland gefahren, um zu arbeiten. Nach einem Streit mit seinem Vorgesetzten, rennt er aus dem Schlachthaus und fährt zurück nach Rumänien. Seine Frau und seinen Jungen hat er lange nicht mehr gesehen, sie haben sich entfremdet, weswegen er nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird. Im kleinen Ort in Siebenbürgen ist die Stimmung depressiv. Es gäbe zwar mit der dort ansässigen Grossbäckerei, die von Matthias Ex-Freundin Csilla (Judith State) geleitet wird, einen Arbeitgeber, der auch gerne anstellen würde, doch den Menschen ist das gezahlte Gehalt zu niedrig. Um sich für EU-Gelder bewerben zu können, muss das Unternehmen aber eine Mindestanzahl an Arbeitnehmern vorweisen können und sieht sich gezwungen ausländische Kräfte einzustellen.

Der rumänische Regisseur Cristian Mungiu kehrt nach seinem Meisterwerk «Bacalaureat» zurück mit einem neuen bedrängenden und auf vielen Ebenen unbequemen Drama, in dem Klientelismus und Zivilcourage eine wichtige Rolle spielen. Auch «R.M.N.» beschreibt ein eindeutig pessimistisches Bild der rumänischen Gesellschaft, deren Züge aber universell sind und sich in unseren eigenen politischen Diskursen über Rassismus, Migration, modernen Arbeitsbedingungen und Emanzipation wiederfinden. Seine einschüchternde Kraft schöpft der Thriller in seiner grossen Realitätsnähe.

4 von 5 ★

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«Der Nachname»

von Sönke Wortmann | 87 min

Wir sind eine Familie

Review von Teresa Vena

Nach «Der Vorname» kommt, ganz logischerweise, «Der Nachname». Regisseur Sönke Wortmann möchte an den grossen Erfolg des ersten Films anknüpfen, den er von der französischen Vorlage «Le prénom» von Alexandre de La Pattellière und Matthieu Delaporte, die wiederum auf einem Theaterstück basiert, auf deutsche Verhältnisse adaptiert hatte. «Der Vorname» wurde 2018 zum Kassenschlager und dies zurecht. Der Film ist dicht inszeniert, intelligent strukturiert, pointiert geschrieben und herausragend gespielt. Von alldem ist in «Der Nachname» leider nicht mehr viel übrig. Das Drehbuch ist banal, unglaubwürdig, kaum relevant und der Humor erschöpft sich in Klamauk. Dazu gehören zum Beispiel die Szenen, in denen aus Versehen Haschischkekse verzehrt werden und sich die Protagonisten im Rausch dann Vertraulichkeiten erzählen.

Inhaltlich schliesst «Der Nachname» an den Vorgängerfilm an. Mittlerweile sind Dorothea (Iris Berben) und ihr Adoptivsohn René (Justus von Dohnányi) offiziell ein Paar, sie wollen sogar heiraten. René will den Nachnamen seiner Zukünftigen annehmen, die leiblichen Kinder Dorotheas sind damit nicht einverstanden. Es entbrennt eine Diskussion über Erbrecht und Feminismus. Wortmann verpflichtet das gleiche Schauspielerensemble wie im ersten Film, darunter sind Christoph Maria Herbst, Justus von Dohnányi, Iris Berben und Florian David Fitz. Hier allerdings fügen sich die Figuren nicht mehr zu einem präzise orchestrierten Ganzen zusammen, sie irren einzeln in einem losen Konstrukt herum. Dieses Gefühl wird zudem durch die gewählte künstlerische Form unterstützt, denn während «Der Vorname» als Kammerspiel inszeniert wurde, folgt «Der Nachname» einer viel konventionelleren Struktur. Als Schauplatz dient eine spanische Finca auf Lanzarote, die malerisch, perfekt für jeden Tourismuskatalog, und ausschweifend mit der Kamera eingefangen wird.

1 von 5 ★

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«El Agua» | «The Water»

von Elena López Riera | 104 min

Nach mir die Sintflut

Review von Teresa Vena

Ana (Luna Pamies) ist 17 Jahre alt. Sie wohnt in einem Dorf, sehnt sich aber nach einem aufregenderen Leben in der Stadt, von dem sei sich eine grössere Freiheit verspricht. Sie wächst tatsächlich in einer konservativen Umgebung auf, in der ihre Mutter und Grossmutter schon von einer anderen Perspektive geträumt haben. Doch über den Ort legt sich eine Art einschläfernde, depressive Decke, die den Einwohnern jede Energie zu entziehen scheint. Die unheimlichen Geschichten über die Flut, die man sich hier erzählt, haben eine zusätzliche lähmende Wirkung. Hochwasser ist in der Gegend keine Seltenheit. Wenn es kommt, sollen vor allem Frauen in Gefahr sein, von ihr verschlungen zu werden.

Die spanische Regisseurin Elena López Riera hat einen Hybrid aus Dokumentar- und Spielfilm geschaffen, der sich nur schwer einordnen lässt. Man muss sich auf ihn und seine zum Teil beklemmende, zum Teil schwelgerische Stimmung einlassen. Nachhaltig in Erinnerung bleibt das Frauentrio, aus Grossmutter, Mutter und Tochter, das stellvertretend für verschiedene Generationen von Frauen steht sowie für ihre Wünsche und Sehnsüchte.

3 von 5 ★

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«Im Westen nichts Neues»

von Edward Berger | 147 min

Der Krieg als Spektakel

Review von Teresa Vena

Regisseur Edward Berger verfilmt den Roman von Erich Maria Remarque, der 1928 erschien und von den Gräueln des Ersten Weltkriegs erzählt. Aus der Perspektive eines jungen Soldaten, der mit einer von Patriotismus geschwellten Brust an die Westfront, an der die Deutschen gegen die Franzosen kämpften, zieht, bekommt man einen Einblick in die Verhältnisse im Schiessgraben und den kurzen Auszeiten im Lager oder Lazarett. Als Held fühlt sich Paul (Felix Kammerer) nach der ersten Minute vor Ort nicht mehr. Um ihn herum ist es ohrenbetäubend laut, es stinkt, es ist dreckig, der Hunger nagt an ihm – und links und rechts türmen sich die Leichen.

Rein produktionstechnisch hat Netflix wirklich viel Geld in die Hand genommen, um «Im Westen nichts Neues» so spektakulär wie möglich aussehen zu lassen. Das ist gelungen. Es wurden wortwörtlich schwere Geschütze aufgefahren. Die Frage ist vielmehr, welchem Zweck der Film dienen soll. Als Abschreckung? Ist es wirklich ein sogenannter Antikriegsfilm? In erster Linie ist die Ausführlichkeit mit der das Töten und Sterben gezeigt wird, kaum auszuhalten. Die Bilder werden einen nicht mehr loslassen. Sie sind anderer Natur als die Bilder von Gewalt in Thrillern und Horrorfilmen. Bei «Im Westen nicht Neues» geht es um die Nachstellung vom Niedergemetzeltwerden Hunderttausender. Es muss aber letztendlich jeder selbst entscheiden, ob er sich über zweieinhalb Stunden einem Dauerrausch an Schüssen, durch die Luft fliegenden Körperteilen und immer wieder einem neuen Meer an Leichen aussetzen möchte.

3 von 5 ★

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«Girl Gang»

von Susanne Regina Meures | 98 min

Die Influencerin und ihre Familie

Review von Teresa Vena

Eine Schar junger Frauen stürmt ins Einkaufszentrum, um ihr Idol Leonie zu treffen. Leonie ist keine Musikerin oder Schauspielerin, sondern eine Influencerin in den sozialen Medien. Die Heranwachsende ist dabei dermassen erfolgreich, dass ihre Eltern ihre eigene Arbeit aufgegeben haben und sich nur noch um die Karriere der Tochter kümmern. Gemeinsam führen sie ein Unternehmen, Leonie ist dabei das Produkt. Eine Zeitlang läuft alles bestens, doch nach und nach zeichnet sich ab, dass Leonies Interesse an der Sache abnimmt. Ihren Eltern fällt das aber nicht auf – oder vielmehr verdrängen sie es.

Die Schweizer Regisseurin Susanne Regina Meures hat diese Berliner Familie mehrere Jahre lang begleitet. Ihr Dokumentarfilm «Girl Gang» ist nicht nur ein recht beklemmendes Porträt dieser Protagonisten, sondern ein genauso beklemmendes Sittenbild. Alles ist Schein, alles ist oberflächlich in Leonies Welt. Vor der Kamera lächelt sie, ist diese aus, lässt sie ihrer schlechten Laune freien Lauf, die Eltern dienen dann als Fussabtreter. So richtig Mitleid mit ihnen hat man aber kaum, sie haben es nicht anders gewollt. Der Film zeigt aber auch, dass ein Leben in der Oberflächlichkeit nicht unendlich sein kann. Irgendwann macht sich Langeweile breit.

3 von 5 ★

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«Leila's Brothers»

von Saeed Roustaee | 160 min

Eine Schwester übernimmt die Führung

Review von Teresa Vena

Leila (Taraneh Alidoosti) will ihren Brüdern aus ihrer finanziellen Not helfen. Sie hat die Idee, dass sie sich zusammentun und im Einkaufszentrum einen Laden mieten sollen. Dafür brauchen sie aber Kapital. Das könnte ihnen ihr Vater (Saeed Poorsamimi) geben, doch der hat eine andere Verwendung dafür. Endlich bietet sich ihm nämlich die Gelegenheit, zum Familienpatriarchen aufzusteigen. Dafür muss er bei der bevorstehenden Hochzeit seines Neffen, das grösste Geldgeschenk überreichen. Seine Kinder versuchen vergeblich, ihn umzustimmen. Der Streit in der Familie droht zu eskalieren.

Um Familie, Solidarität und Opferbereitschaft geht es in «Leila's Brothers» des iranischen Regisseurs Saeed Roustaee. Anhand der Geschichte von Einzelpersonen, erzählt der Film von einer konservativen Gesellschaft, die Frauen, aber auch jeden unterdrückt, der nach aussen vermeintlich schwach wirkt, weil er nicht mit den richtigen Beziehungen und dem genügenden Kleingeld ausgestattet ist. Keine Minute des fast dreistündigen Films ist zu viel. Von Anfang an hält das Drama die Spannung. Das gelingt dank des intelligenten Drehbuchs, der dichten Inszenierung und nicht zuletzt durch ein perfekt abgestimmtes Darstellerensemble, das mit einer herausragenden schauspielerischen Leistung aufwartet.

5 von 5 ★

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«Ta Farda» | «Until Tomorrow»

von Ali Asgari | 86 min

Meine Tochter gehört zu mir

Review von Teresa Vena

«Ta Farda» von Ali Asgar ist ein weiteres Beispiel für die Stärke des iranischen Autorenfilms. Um die Zensur zu umgehen, stehen Geschichten von Individuen im Mittelpunkt. Immer erzählen die Filme darüber hinaus aber von den repressiven gesellschaftlichen Strukturen, die im Land herrschen. Dazu gehört eine konservative Werteordnung, die Geschlechterrollen streng reglementiert. Frauen sind erst Töchter, dann Ehefrauen, dazwischen gibt es nichts. Sexueller Kontakt ist nur in der Ehe erlaubt, alles andere ist nicht nur unmoralisch, sondern offiziell illegal und wird streng geahndet, mit hohen Geldstrafen und Gefängnis. Daher ist es kein Wunder, dass die Hauptfigur im Film, Fereshteh (Sadaf Asgari), vor ihren Eltern und sonst allen anderen verheimlicht, dass sie eine uneheliche Tochter geboren hat. Sie droht aber, aufzufliegen, als ihre Eltern einen spontanen Besuch ankündigen. Sie durchwandert die ganze Stadt, auf der Suche eines Babysitter, der das Kind bis zum nächsten Tag in Obhut nehmen kann, damit es ihre Eltern nicht sehen.

Die Verzweiflung in der Protagonistin wird von Minute zu Minute grösser und dank der eindrücklichen Darstellung von Sadaf Asgari, die ihr Talent bereits in «Yalda» unter Beweis gestellt hat, für die Zuschauer fast schon körperlich nachspürbar. Das Drama wahrt geschickt die Einheit von Raum und Zeit und erhöht dadurch die Spannung. Eine einfache Lösung bietet der Film nicht, vielmehr macht er klar, wie verkrustet die moralischen Vorstellungen sind, dass sie gegenseitige Solidarität verhindern und Menschen in Gefahr bringen. Abgesehen von der spezifischen Verortung in die iranische Gesellschaft, vermittelt «Ta Farda» auch ganz universelle Werte, die uns alle zum Nachdenken bringen sollten.

5 von 5 ★

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«Patrick and the Whale»

von Mark Fletcher | 73 min

Die unerforschten Mysterien der Giganten der Tiefe

Review von Bianca Serina Lüthy

Naturfilmemacher Mark Fletcher begleitet in «Patrick and the Whale» den passionierten Walliebhaber Patrick Dykstra auf seinen Expeditionen in Dominica über mehrere Jahre hinweg. Dort hatte Patrick einst eine Begegnung mit einem Pottwalweibchen, das anhand ihrer Körpersprache mit ihm kommunizierte.

Mit «Patrick and the Whale» ist dem Naturfilmemacher Mark Fletcher ein faszinierendes Werk gelungen, das einem Liebesbrief an Wale nahekommt. Durch die Perspektive des charmanten Protagonisten Patrick zeigt der Film auf, wie unerforscht das Verhalten der Meeressäuger ist. Man wird dabei nicht mit zu vielen Informationen überladen und erhält dennoch tiefe Einblicke in das Zusammenleben von Walen und erfährt wie ausgereift die Tiere miteinander kommunizieren. Gehäuft von imposanten Bilder – ob von Nahaufnahmen der Pottwalen und ihren Kälbern oder Drohnenflüge über die Weiten des offenen Meeres – schafft Fletcher die optimale Kulisse für eine bereicherndes Dokumentarfilmerlebnis, das zwischen emotionalem Storytelling und gehaltvollen wissenschaftlichen Erkenntnissen gekonnt hin- und her switcht. Ein Muss für jeden Meeres- und Walliebhaber!

5 von 5 ★

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«A Taste of Whale»

von Vincent Kelner | 85 min

Wenn Tradition und Kultur stärker sind als Mitgefühl und Verstand

Review von Bianca Serina Lüthy

Für die Bewohner der Färoer Inseln gehört der Walfang zu ihrer Kultur und stellt für sie ihre älteste und wichtigste Tradition dar. Umweltschützer und westliche Kulturen sehen darin nichts anderes als ein Massaker, ein Naturverbrechen an. Unterschiedliche Ansichten prallen hart aufeinander als die Meeresschutzorganisation Sea Shepherd für den jährlichen Walfang-Event bei den Färöern Halt macht.

Der Dokumentarfilm lebt von der mystischen Szenerie der Färöer-Inseln und vermag es zugleich ein Bild über das mysteriöse Leben seiner Einwohner zu zeichnen. Es stellt beide Seiten des Konflikts gut in Kontrast und beleuchtet auch, wie heuchlerisch heutzutage viele Menschen mit ihrer Nahrung umgehen: Fleisch und Fisch aus dem Supermarkt wird en masse gekauft, aber Jagen und Tiere töten wird verabscheut. Die Färöer haben da einen anderen Umgang und zeigen bereits ihren Kindern, wie ein totes Schaf beim Metzger aussieht und nicht erst wie es essgerecht als Lammrack auf dem Tisch landet.

Die Dokumentation ist an manchen Stellen jedoch sehr langatmig, nach etwa einer Stunde hat man praktisch alle Argumente der beiden Seiten gehört und es wird – vor allem seitens Färöer – sehr repetitiv. So stützen sie sich immer wieder auf die mehrere Hunderte Jahre alte Tradition und der Aspekt, dass der Konsum von Walfleisch gesundheitlich bedenklich ist, kommt zu kurz vor. Da hätte man mehr Fokus drauf legen können: Was sind die konkreten gesundheitlichen Folgen? Inwiefern haben Kinder bereits körperliche Schäden davon getragen? Warum untersagt die Gesundheitsbehörde den Verzerr nicht? Dennoch ist es sehr spannend zu sehen, wie und warum die Färöer so denken und handeln. Sie haben eine starke Bindung zu ihrer Umgebung und fühlen sich durch den Walfang – noch so brutal und tragisch er ist – mit der Natur und dem Meer verbunden, was dem Zuschauer eine ganz neue Perspektive vermittelt

4 von 5 ★

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