Kritik14. September 2020

Serienkritik «I Know This Much Is True»: Mark Ruffalo serviert schwere Kost

Serienkritik «I Know This Much Is True»: Mark Ruffalo serviert schwere Kost
© HBO

«I Know This Much Is True» ist eine schwermütige sechsteilige Miniserie, in der Mark Ruffalo in einer Doppelrolle zu sehen ist: Der Schauspieler ist brillant als Zwillingspaar Dominick und Thomas, von denen Letzterer an paranoider Schizophrenie leidet. Die Reihe von traumatischen Schicksalsschlägen, die diese beiden Männer einstecken müssen, ist keine leichte Kost.

Serienkritik von Gaby Tscharner

Anfang der 90er Jahre marschiert Thomas Birdsey (Mark Ruffalo), der an paranoider Schizophrenie leidet, in eine öffentliche Bibliothek in einer Kleinstadt in Connecticut und hackt sich mit einer Machete seine Hand ab. Thomas glaubt, dass Gott von ihm ein Opfer verlangt, um den bevorstehenden Golfkrieg zu verhindern.

Diese Erklärung führt aber dazu, dass Thomas als eine Gefahr für sich und andere eingestuft und von einem Pflegeheim in ein Hochsicherheitsgefängnis eingeliefert wird, wo er auf unterschiedlichste Weise missbraucht wird. Sein Zwillingsbruder Dominick (auch Ruffalo), der sich sein Leben lang mehr oder weniger für das Wohlergehen seines Bruders verantwortlich gefühlt hat, kämpft mit Hilfe der Sozialarbeiterin Lisa Sheffer (Rosie O’Donnell) und der Psychiaterin Dr. Patel (Archie Panjabi) für die Entlassung seines Bruders.

Adaptiert von Wally Lambs gleichnamigem Roman dient diese Miniserie in erster Linie als Tummelfeld für seinen Star Mark Ruffalo. Unter der Regie von Derek Cianfrance («Blue Valantine») liefert der als «The Hulk» bekannte Darsteller aus den «Avengers»-Filmen eine schauspielerische Meisterleistung, die ihm zu Recht eine Emmy-Nomination eingebracht hat. Seine Hingabe und sein Engagement verleihen Dominick und Thomas ganz eigenständige Persönlichkeiten und Körpereigenheiten, die einem in den ersten 5 Minuten vergessen lassen, dass ein- und derselbe Schauspieler für beide Figuren verantwortlich ist.

Mark Ruffalo ist meisterhaft.– Cineman-Filmkritikerin Gaby Tscharner

Wer von seinen TV-Serien leichte Kost erwartet, die in kürzester Zeit konsumiert werden kann, ist bei «I Know This Much Is True» an der falschen Adresse. Die Welt wird nicht nur für den schizophrenen Thomas zunehmend feindlicher, Dominick scheint unter dem Gewicht der immer schlimmer werdenden Ereignisse zu kollabieren. Im Zentrum der Tragik steht Thomas' Krankheit.

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Der sensible Junge war schon immer anders als alle andern, was ihn in der Schule zum Gespött anderer Kinder und zur Scham seines Zwillingsbruders machte. Die Geschichte der Zwillinge wird gekonnt in Rückblenden erzählt, die sich zwischen einschneidenden Ereignissen in der Primarschule und später an der Universität abspielen, wo sich Dominicks Drang, unabhängig von Thomas sein zu können, immer stärker ausprägt. Die Jugendlichen Zwillinge werden von Philip Ettinger meisterhaft gespielt.

Dominick und Thomas sind Kinder einer sizilianischen Einwandererfamilie, die ein grosses Geheimnis verbirgt. Die Zwillinge wissen nicht, wer ihr Vater ist, und wachsen mit einem kontrollsüchtigen Stiefvater (John Procaccino) auf, der die Mutter missbraucht. Als Thomas erste Anzeichen seiner Geisteskrankheit aufzeigt, wird auch er zum Opfer von Rays Wutausbrüchen, weil er ihm als zu „schwach“ erscheint.

Auch als Erwachsener wird Dominick noch immer von Schuldgefühlen geplagt, Thomas nie gegen den Stiefvater verteidigt zu haben – und als würde er für seine Passivität bestraft, wird Dominicks Leben von einem Schicksalsschlag nach dem anderen geprägt. Als sein neugeborenes Kind an SIDS stirbt, überlebt seine Ehe mit Dessa (Kathryn Hahn) den Schicksalsschlag nicht und endet in einer Scheidung. Kurz bevor seine Mutter (Melissa Leo) an Krebs stirbt, überreicht sie Dominick ein Manuskript seines Grossvaters, eine Art Autobiografie des von seiner Tochter vergötterten Mannes.

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Cianfrance springt gekonnt zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit hin und her, um Dominicks Albtraum von einem Leben zu beschreiben, von seiner Kindheit bis zu den Jahren an der Universität, wo sein Bruder Thomas langsam in seine Geisteskrankheit hineinsinkt. Weniger erfolgreich sind die in Sepia getauchten Memoiren seines Grossvaters, der mit seinem Bruder von Sizilien in die USA auswanderte.

Es wird bald klar, dass sein Leben dem von seinem Namensvetter Domenico Tempesta ähnelt und der Grossvater die Tragik seines Daseins vorhersagte. Tempesta ist aber ein unangenehmer Zeitgenosse, der eine Frau heiratet, die ihn nicht ausstehen kann. Er misshandelt sie derart, dass ihre Schwester, die er als Hexe bezeichnet, seine Familie mit einem Fluch belegt.

Der Ausflug ins Melodramatische ist eine verpasste Chance.– Cineman-Filmkritikerin Gaby Tscharner

Hier driftet die Miniserie ins Melodramatische ab, eine verpasste Chance. Während Dominicks Leben immer mehr aus der Balance gerät und die Serie interessante Fragen über den geistigen Zustand des sogenannten „gesunden“ Bruders, dem US-Gesundheitswesen und dem Stand der Psychiatrie aufwirft, geht man diesen jedoch nie konsequent nach. Stattdessen wird in den Rückblenden alter sizilianischer Aberglaube zelebriert, und die Geschichte verkommt zu einer fast unerträglichen Prozession von Elend und Trauma.

Es ist Mark Ruffalos Können, das den Zuschauer bei der Stange hält. Ehrlich gesagt kann man es ihm aber nicht verübeln, wenn er nach einigen Folgen aufgeben sollte. Die Prämisse dieser Geschichte verspricht mehr, als sie hält, und das Ende ist sentimentaler und oberflächlicher, als diese schmerzerfüllte Geschichte erhoffen lässt. Auf der positiven Seite lässt sich vermerken: Wer sich durch die sechseinhalb Stunden von Dominicks Elend kämpft, dem wird sein eigenes Leben, inklusive Pandemie, gar nicht so schlecht erscheinen.

2.5 von 5 ★

«I Know This Much Is True» ist ab dem 14. September auf Sky Show verfügbar.

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