Interview7. März 2023

Interview: Kayije Kagame über «Saint Omer»: «Es gibt keine Regeln»

Interview: Kayije Kagame über «Saint Omer»: «Es gibt keine Regeln»
© EFP Harald Fuhr

Die Schweizer Schauspielerin Kayije Kagame ist aktuell in «Saint Omer» im Kino zu sehen. Wir trafen sie im Rahmen der Berlinale bei der Veranstaltung «EFP European Shooting Stars», bei der junge Talente aus Europa zusammenkommen. Kayije Kagame war als Vertreterin für die Schweiz dabei – für uns die Gelegenheit, mit der Schauspielerin und Künstlerin über ihr aktuelles Filmprojekt, die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Alice Diop und zukünftige Projekte zu sprechen.

Interview von Maxime Maynard, übersetzt von Maria Engler

«Saint Omer» ist im Moment wirklich überall: Grosser Preis der Jury bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig, Preis für den besten Erstlingsfilm bei der César-Zeremonie 2023. Wie geht man mit diesem Erfolg um?

Kayije Kagame: Seit September, als der Film in Venedig Premiere feierte, ging es Schlag auf Schlag. Deshalb versuche ich, eine Art Gleichgewicht zu finden, konzentriert zu bleiben und ein Projekt zu begleiten, das mir am Herzen liegt. Vor allem, wenn man zwei Arbeitsbereiche hat, wie ich, denn ich begleite den Film, aber ich habe bald die Premiere eines meiner eigenen Projekte. Man muss also wirklich das richtige Gleichgewicht finden. Aber ich bin mir bewusst, dass ein solcher Erfolg nicht selbstverständlich ist, also muss man ihn auch umarmen.

Saint Omer ist Ihr erster Spielfilm und auch der erste Spielfilm von Alice Diop. Sie haben die Regisseurin durch Zufall kennengelernt. Wie kam es dazu? Können Sie uns etwas darüber erzählen?

Kayije Kagame: Das war wirklich wunderbar. Ich kannte ihre Arbeit nicht und traf sie im Sputnik in Genua anlässlich einer Retrospektive ihrer Filme. Ich hatte zunächst das Vergnügen, die Filme zu sehen und ihr beim Reden zuzuhören. Ich fragte mich: «Wer ist diese aussergewöhnliche Frau, die so fantastische Filme macht, von denen ich mich angesprochen fühle?», und dann trafen wir uns. Wir unterhielten uns und sie sagte: «Ich schreibe gerade an etwas, gib mir mal deine Kontaktdaten», und das war der Beginn eines umfassenden Austauschs über «Saint Omer». Das war 2018, es ist jetzt schon etwas her.

Das Schöne ist, dass genau fünf Jahre später der Sputnik den Film zeigte und wir dort Premiere feiern konnten. Ich denke mir: «Du bist schon seit fünf Jahren an diesem Projekt dran???». Das macht auch die Stärke des Films aus. Wir haben sehr intensiv daran gearbeitet. Und Alice Diop natürlich erst recht.

Kayije Kagame als Rama in «Saint Omer» © Cineworx

Wie Ihre Figur Rama im Film war auch Alice Diop beim Prozess gegen Fabienne Kabou anwesend, die des Mordes an ihrer Tochter angeklagt war - eine wahre Begebenheit, die den Film inspiriert hat. Kann man sagen, dass in der Figur Rama ein wenig von Alice Diop steckt?

Kayije Kagame: Alice hat immer gesagt: «Rama, das bin nicht ich», und ich denke, das war ein Weg, mir zu erlauben, frei in die Figur einzutauchen und sie an einen anderen Ort zu führen. Ich denke, Rama ist zu 100 Prozent ich, zu 100 Prozent Alice Diop, zu 100 Prozent die Person, die sich angesprochen fühlt. Na ja, nicht ich im wirklichen Leben, aber die Figur ist ein Gefüge, in das ich mich zu 100 Prozent eingebracht habe. Dasselbe gilt für Alice. Es ist verständlich, dass die Parallelen zwischen Alices Leben und der Figur die Zuschauer faszinieren. Aber es handelt sich um eine Fiktion.

Sie sind eine multidisziplinäre Künstlerin: Schauspielerin, Regisseurin... Hat Ihnen Ihre bisherige Erfahrung bei diesem ersten Spielfilm geholfen?

Kayije Kagame: Ich denke, dass jedes Projekt einzigartig ist. Es gibt keine Regeln. Man erfindet immer etwas Neues. Sowohl für mich als auch für Alice Diop, denn es war ihre erste fiktionale Arbeit. Was an diesem Projekt so spannend war, ist, dass wir alle versucht haben, die Geschichte zu ergründen. Es hat mir wirklich viel Spass gemacht, so komplexe, einzigartige und tiefgründige Charaktere zu entdecken. Das ist das, was ich als Schauspielerin suche, wenn ich eine Rolle lese und denke: «Wow, da ist ein ganzer Horizont, den man mit dieser Rolle entdecken kann.»

Was kommt als Nächstes?

Kayije Kagame: Es handelt sich um ein Bühnen- und Filmdiptychon. Es ist ein Film mit dem Titel «Intérieur Nuit», den ich gemeinsam mit einem Schweizer Regisseur namens Hugo Radi gedreht habe und der im Dialog mit einem Stück mit dem Titel «Intérieur Vie» steht. Ich leite und schreibe das Projekt und spiele darin. Die Premiere findet am 7. März im Zentrum für szenische Kunst «Arsenic» in Lausanne statt. Danach spielen wir eine Woche lang im Theater von Gennevilliers in der Nähe von Paris mit dem Schweizer Kulturzentrum vom 23. März bis 3. April.

Zuerst wird der Film gezeigt, dann das Stück. Es ist eine recht neue Variante. Ich hatte Lust, zwei Medien in einen Dialog zu bringen, nämlich einen Film, den wir glücklicherweise auf Filmmaterial drehen durften, und darstellende Kunst. Ich bin in den Film eingebunden, der gespeichert ist, der eine Spur hinterlassen hat, aber ich bin auch in das Stück eingebunden, das lebendige Kunst ist und in der Gegenwart bleibt.

Weitere Informationen zu «Saint Omer»

Seit dem 02. März im Kino zu sehen.

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